Das Unbehagen mit der Smart City – ein unveröffentlichter Buchbeitrag

Foto des Werbeschriftzuges "jetzt NEU Internet" im Ulmer Hbf

Foto: Michael Lobeck, CC-BY 4.0, 25.9.2015

Vor einem Jahr habe ich einen Beitrag zu einem Buchprojekt verfasst, das dann nicht zustande kam. Die meisten Überlegungen zur Entwicklung von Smart Cities sind noch aktuell. Es geht um Ziele, um Stadtentwicklung, um Demokratie und kaum um Technik. Lesedauer ca. 12 Minuten.

Das Unbehagen
Wirtschaftsförderung in Musterstadt
Ziele vor Technik
Gemeinsam eine Strategie entwickeln
Was bringt’s? Evaluation ist wichtig – Beispiel Friedrichshafen
Schlussfolgerungen – Ein Appell an kommunale Verantwortliche

 

Das Unbehagen

Seit vielen Jahren untersuche ich die Digitalisierung von Kommunen, die häufig unter dem Stichwort Smart City vorangetrieben wird. 2006 begann ich mich für das Thema näher zu interessieren. Ich hatte die Möglichkeit, als Wissenschaftler an der Universität Bonn ein über sechs Jahre laufendes Smart-City-Projekt der Deutschen Telekom zu evaluieren (link). Die Telekom wollte zeigen, was mit Breitband alles möglich ist und tat sich mit der Stadt Friedrichshafen am Bodensee zusammen. Zu den Ergebnissen weiter unten mehr.

In den folgenden Jahren sprangen immer mehr Städte und Gemeinden auf das Thema auf. Von Berlin, Hamburg und München bis Oerlinghausen, Finsterwalde und Burglengenfeld reicht die Spanne der Kommunen, die sich auf den Weg machten, Smart City zu werden (Lobeck 2017a). Und es werden immer mehr. Viel wurde und wird von Konzernen und Politik versprochen zur schönen neuen Welt der Apps und der Vernetzung. Der status quo in den meisten Gemeinden ist jedoch bis heute häufig noch bei neuen Laternen und „intelligenten“ Mülleimern stehen geblieben (Lobeck 2017b).

Alle Kommunen, die ich bisher begleitet habe, mussten feststellen, dass die Technik das kleinste Problem im Rahmen der Digitalisierung darstellt. Der Kern der Beschäftigung mit dem Thema war stets eine Klärung eigener Ziele und Werte, die dann angesichts der jeweiligen Problemlagen vor Ort zu Strategien, Prioritäten und konkreten Handlungsfeldern und Projekten verdichtet werden können. Idealerweise werden dabei diese Ziele und Werte nicht von einer kleinen Gruppe definiert, sondern breit mit allen wichtigen Akteuren der Stadtgesellschaft diskutiert, sonst fehlt die Akzeptanz und Beteiligung bei der Umsetzung.

Dabei stellt sich besonders die Frage, wie die großen Möglichkeiten, die ohne Zweifel als Potenzial in der Nutzung neuer Technologien liegen, mit den Notwendigkeiten, die ein demokratisches Gemeinwesen unter anderem in Fragen des Datenschutzes hat, verbunden werden können. Die Fähigkeit und der Wille, diese Notwendigkeit zu garantieren, sind bei vielen Unternehmen der Informationstechnologiebranche als auch bei einigen staatlichen Akteuren nicht auszumachen.

Eine kleine Geschichte soll deutlich machen, wie das Dilemma zwischen Nutzung neuer Möglichkeiten und Sorgen um die Risiken der Digitalisierung die handelnden Akteure in den Kommunen beeinträchtigt. Im Anschluss einige Schlussfolgerungen, wie mit diesem Dilemma und dem daraus resultierenden Unbehagen an der Smart City umgegangen werden kann.

 

Titelbild der Studie "Deutschlands Städte werden digital" von der Arbeitsgruppe Stadt- und Regionalforschung des Geographischen Instituts der Universität Bonn gemeinsam mit PwC veröffentlicht

Wirtschaftsförderung in Musterstadt

Stellen Sie sich einen jungen, dynamischen Wirtschaftsförderer aus Musterstadt vor, nennen wir ihn Jan Schmidt. In seinem Alltag benutzt er WhatsApp, Amazon, Dropbox, und vielleicht noch weitere digitale Plattform-Angebote. Er weiß, welche Annehmlichkeiten die Digitalisierung zu bieten hat, auch wenn er manche Bedenken zum Datenschutz teilt, die in der öffentlichen Debatte immer wieder eine Rolle spielen.

 Seine Chefin, die Oberbürgermeisterin, die Unternehmerinnen und Unternehmer in seiner Stadt und auch die Fraktionsvorsitzenden der Parteien im Rat reden alle von den vielen Möglichkeiten, die die Digitalisierung bietet. Die Rede ist von Effizienzsteigerung in der Verwaltung, von besserem Verkehr, Beiträgen zur Nachhaltigkeit und zur Verbesserung der Bildung.

 Erste Schritte

 Seit zwei Jahren gibt es eine Kommission des Rates, in der eine Smart City Strategie besprochen wird. Alle nur erdenklichen Themenfelder werden diskutiert, Expertinnen und Experten werden gehört, und die verschiedenen Perspektiven zum Thema zwischen den Fraktionen diskutiert. Vor allem zeigt sich in den Diskussionen, dass Politikerinnen und Politiker häufig nicht wissen, was die Verwaltung schon alles umsetzt und wo Hindernisse für gute Prozesse liegen. Die Idee, einen Anwohnerparkausweis online beantragen und zuhause ausdrucken zu können, scheitert bisher an unterschiedlichen Interpretationen von Verwaltungsvorschriften zwischen Kommune und Kreis.

 Die Unternehmen in der Stadt fragen immer öfter „Wann geht es denn endlich mal los?“ Immerhin ist die Digitalisierungsstrategie inzwischen nach zwei Jahren in greifbare Nähe gerückt und auch die Position des „Chief Digital Officer“ (CDO) wurde vor kurzem als eine der ersten Schlussfolgerungen aus den Diskussionen besetzt.

 Die neue CDO – nennen wir sie Sandra Fischer – kommt aus der Privatwirtschaft, und man munkelt, sie sei über fehlende Ziele, Strategien und Projektorientierung in der Arbeit der kommunalen Verwaltung und Politik etwas irritiert. Positiv erscheint unserem Wirtschaftsförderer, dass die neue CDO alle wichtigen Akteure mitnehmen möchte. Neben Verwaltung und Politik sowie den Unternehmen der Stadt, will Frau Fischer auch Gespräche mit der Open Data Community, mit Schülerinnen und Schülern und mit Vereinen und Verbänden führen.

 Sie spricht davon, dass digitale Lösungen ohne Datensicherheit und Datenschutz keine Zukunft haben. Das spricht unserem jungen Wirtschaftsförderer Jan Schmidt aus der Seele. Er ist ja selbst hin- und hergerissen zwischen den tollen neuen Möglichkeiten, die die Digitalisierung für Städte und Gemeinden bieten, und den großen und kleinen Skandalen, bei denen personenbezogene Informationen in falsche Hände gelangen sowie Sicherheitspannen, bei denen Krankenhäuser tagelang ohne EDV-Versorgung bleiben.

 Chancen UND Risiken

 Erst neulich hörte er bei einem Workshop mit Kolleginnen und Kollegen einen Vortrag, in dem auf die immensen Risiken hingewiesen wurde, die die Zusammenballung von Daten bei Unternehmen wie Facebook oder Google für die Grundlagen der Demokratie hat. Er versteht nicht, warum deutsche und europäische Unternehmen nicht in der Lage sind, die hohen Datenschutzstandards hierzulande zu einem Verkaufsschlager zu machen, statt immer wieder gegen sie zu lobbyieren.

 Eine Kollegin von ihm forderte in dem Workshop jetzt endlich einmal voran zu gehen, statt sich weiter mit Bedenken zu beschäftigen. Andere europäische Länder sein da schon viel weiter. Von den USA und Asien mal ganz abgesehen. Nur die Deutschen hätten mal wieder ihre German Angst und trauten sich nicht die Zukunft zu gestalten. Das hätte letztens auch Dorothea Bär, Staatsministerin für Digitalisierung im Bundeskanzleramt so gesagt.

 Unser Wirtschaftsförderer Jan Schmidt aus Musterstadt will ja gerne vorangehen, er will ja die Unternehmen fördern, ihnen möglich machen mit neuen Geschäftsmodellen in der digitalen Zeit Mehrwert und Wohlstand zu schaffen und er fände auch gut, wenn die Verwaltung endlich die Möglichkeiten der digitalen Kommunikation nutzt, die er aus seiner privaten Umgebung kennt. Aber er will auch, dass seine beiden Kinder in einer Gesellschaft aufwachsen, in der sie sich frei entfalten können, ohne vom Staat auf Schritt und Tritt überwacht und von Konzernen ausgeforscht, kategorisiert und zu passenden (Konsum)-Entscheidungen gelenkt zu werden.

 Wie kann er das zusammen bekommen?

 Immerhin hat seine Chefin letztens seine Idee unterstützt, als neues Kommunikationsmedium in der Stadtverwaltung einen verschlüsselten Messenger-Dienst einzuführen, der nicht zu Facebook gehört. Die Frage, ob die Stadt weiterhin eine eigene Facebook Seite betreuen soll, ist in der Verwaltung und zwischen den Parteien sehr umstritten. Einerseits müsse man da hingehen wo die Leute sind, wenn man mit ihnen reden wolle, andererseits könne man als öffentliche Kommune die Menschen nicht guten Gewissens in die Arme eines riesigen kommerziellen Datenkraken treiben, von dem man nicht genau weiß, was er mit den ständig und überall im Netz erhobenen Daten anstellt. Sicher ist, dass sie aggregiert, mit Daten aus anderen Quellen angereichert und meistbietend verkauft werden – aber wie genau und wie personenbezogen?

 Die privaten Versuche unseres Wirtschaftsförderers, die WhatsApp Gruppe im Fußballverein seines Sohnes auf einen vertrauenswürdigeren Messenger umzustellen, sind bisher jedenfalls gescheitert. Er ist gespannt, wie die Kolleginnen und Kollegen in der Verwaltung den neuen Messenger annehmen. Auch er muss eine neue App installieren und hat dann demnächst zwei parallele Chats auf dem Handy.

 Die Unternehmen und Berater, die die Stadtspitze von Investitionen und Pilotprojekten überzeugen wollen, erzählen der CDO Frau Fischer von innovativen Geschäftsmodellen, von Effizienzsteigerung, von Beiträgen zu Nachhaltigkeitszielen durch Energieeinsparung und von vielen erfolgreichen Dingen mehr. „Es geht ja darum, Daten zu generieren und daraus neue Dienstleistungen zu machen und diese schließlich gewinnbringend zu vermarkten.“ Ja, einerseits, denkt unser Wirtschaftsförderer Jan Schmidt, einerseits geht es um Geschäftsmodelle und um Effizienzsteigerungen. Aber erst einmal geht es doch um die Herausforderungen unserer Stadt.

 Knapp 12 Prozent der Jugendlichen in Musterstadt verlassen die Schule ohne Abschluss, für 15 Prozent der 3-6 jährigen fehlen Betreuungsplätze und die ambulanten Pflegedienste finden kaum Pflegerinnen und Pfleger, die die anstrengende Tätigkeit ausüben wollen. Was nützt die Digitalisierung bei diesen Fragen? Welche Unternehmen bieten hier „Geschäftsmodelle“ an? Ist das überhaupt der richtige Zugang? Auch das sind für Jan Schmidt Themen der Wirtschaftsförderung und der Stadtentwicklung.

 

Foto eines Schaufensters in New York City 2008 mit der Aufschrift "We have moved to the Internet"

Foto: Claus-C. Wiegandt

Ziele vor Technik

Kommunen müssen an ihren jeweiligen Problemen ansetzen, müssen ihre Ziele und Werte klären und dann – in Kenntnis der technologischen, finanziellen und politischen Möglichkeiten – eine Strategie entwickeln. Digitalisierung ist nicht in erster Linie eine technische Frage. Bei guten Digitalisierungsprojekten geht es um eine zielgeleitete Organisationsentwicklung, die Prozesse und Strukturen verändert und aktuellen Erfordernissen anpasst ohne die notwendige Langfristigkeit von öffentlicher Verwaltung aus dem Blick zu verlieren.

Die Diskussion um Ziele und Werte muss breit geführt werden. Das bedeutet, dass alle wichtigen Akteure der Stadtgesellschaft eingebunden werden müssen. Diese Diskussion muss vor einer Investition in Technik erfolgen. Ansonsten werden kostbare Mittel gebunden und Abhängigkeiten geschaffen, die im Nachhinein mühsam korrigiert werden müssen.

Das ist – nebenbei gesagt – kein Widerspruch zu dem in letzter Zeit so häufig geäußerten „einfach mal machen“. Es ist kein Problem, in einem Pilotprojekt „einfach mal“ zu testen, ob die Abfuhr von Müll mit weniger Aufwand möglich ist, wenn Sensoren den Füllstand von Mülltonnen ständig automatisiert an eine Zentrale melden. Ein Problem ist jedoch, „einfach mal“ das Budget statt in fünf zusätzliche Schulsozialarbeiter*innen in Tablet-Klassen zu investieren – ohne eine breite Debatte über Ziele und Werte geführt zu haben. Eine solche Debatte ist aufwändig, vermutlich mit Streit verbunden und verlangt allen Beteiligten einiges ab. Aber genau dieser Streit ist konstituierend für eine Demokratie.

 

Gemeinsam eine Strategie entwickeln und Verantwortlichkeiten festlegen

Idealerweise schafft es eine Kommune, wie zum Beispiel der Rat der Stadt Neuss, parteiübergreifend eine Digitalstrategie zu beraten und abzustimmen, die die Grundlage für das Handeln der Verwaltung darstellt. Deren Zukunftskommission, die ich begleiten durfte, hat über die Parteigrenzen hinweg intensiv an der Sache diskutiert und eine Leitlinie entwickelt, die für die Verwaltung jetzt eine gute Basis zur Umsetzung von Digitalisierungsprojekten darstellt.

Immer mehr Kommunen – so z.B. Bonn, Dortmund oder Gelsenkirchen – haben eine oder einen „Chief Digital Officer (CDO)“ oder „Chief Information Officer (CIO)“, der/die über Möglichkeiten informiert, Aktivitäten einfordert und bündelt, Kommunikation zwischen unterschiedlichen, sich nicht immer freundlich gesinnten Dezernaten ermöglicht und sich generell um Digitalisierung „kümmert“. Er oder sie „macht“ nicht die Digitalisierung der Kommune, sondern bringt sie ins Gespräch, stellt die richtigen Fragen und bietet mögliche Antworten an.

Ideal wäre es, wenn diese bündelnde Stelle eines/einer CDO keine rein verwaltungsinterne Rolle übernimmt, sondern auch für die Stadtöffentlichkeit sichtbar und erreichbar wäre. Das Interesse einer CDO Sandra Fischer in der Geschichte aus Musterstadt an der Einbindung zahlreicher Akteure der Stadtgesellschaft ist in der Praxis nicht überall zu spüren. Aber vielleicht ist es dafür auch noch zu früh. So lange sind die meisten CDOs schließlich noch nicht im Amt.

 

Cover des Endberichtes der Evaluation des Smart-City-Projektes "T-City Friedrichshafen", ISBN 978-3-86859-161-3

Was bringt’s? Evaluation ist wichtig – Beispiel Friedrichshafen

Woran es fast überall fehlt, sind unabhängige Evaluationen der Digitalisierungs- und Smart-City-Projekte. Ein laufendes Monitoring und eine Überprüfung der beabsichtigten und unbeabsichtigten Wirkungen und ein Vergleich mit den (hoffentlich) vorab beschlossenen Zielen finden kaum statt. Das ist schade, ganz gleich, ob man euphorisch oder skeptisch auf diese Projekte blickt. Die Budgets sind überall begrenzt, da wäre es doch gut zu wissen, ob das Geld gut angelegt ist – oder ob man statt einer Investition in Tablets doch besser noch zusätzliche Erzieher und Erzieherinnen im Kindergarten angestellt hätte. Und dass Investitionen in Digitalisierung zumindest erst einmal jede Menge Geld kosten, das glauben alle, die sich damit beschäftigen (vgl. Hackenberg u.a. 2015).

Eine der wenigen Evaluationen über Smart City Projekte in Deutschland, wurde über das schon erwähnte Projekt „T-City Friedrichshafen“ durchgeführt. Der Autor konnte als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Geographischen Instituts der Universität Bonn das Projekt mit mehreren Kolleg*innen über sechs Jahre auf Kosten der Deutschen Telekom begleitend untersuchen. (vgl. Hatzelhoffer u.a. 2012 – alle folgende Zahlen aus dieser Quelle). Mehrere tausend Bewohner*innen der Stadt Friedrichshafen und mehrere hundert Projektmitarbeiter*innen und -teilnehmer*innen wurden befragt und interviewt.

Ganz knapp zusammengefasst lässt sich sagen, dass zahlreiche Einzelprojekte für die Bürgerinnen und Bürger hilfreiche Effekte zeigten. Die Abläufe im Bürgeramt wurden einfacher, die Kommune kann mit einer App über Mängel der Infrastruktur (defekte Laternen o.ä.)schnell und einfach informiert werden und hat damit auch ein Service-Versprechen verbunden. Anwendungen im Gesundheitswesen wurden von den teilnehmenden Patientinnen und Patienten als sehr positiv bewertet. Im Bereich der schulischen Bildung war die Resonanz deutlich verhaltener. Die technikaffinen Lehrerinnen und Lehrer waren an Open Source Systeme gewöhnt, die die Deutsche Telekom nicht unterstützte und die Verlage waren damals kaum in der Lage, Lehrmaterial bereitzustellen, das einen Mehrwert versprach. Auch im Mobilitätsbereich waren ein Nutzen für die Bürgerinnen und Bürger kaum zu spüren. Die notorisch überlastete Bundesstraße am Ufer des Sees war mit digitalen Mitteln nicht vom Stau zu befreien.

Die großen Ziele des Projektes, die Lebensqualität und die Standortqualität in Friedrichshafen zu verbessern, wurden eingeschränkt erreicht. Während nach sechs Jahren Projektlaufzeit 86% der Bewohnerinnen und Bewohner vom Projekt gehört hatten, stimmten 36% der Aussage zu, „T-City hat die Lebensqualität erhöht“. Das ist allerdings in einer Stadt wie Friedrichshafen mit Lage am Bodensee und Blick auf die Schweizer Berge auch keine einfache Aufgabe. 53% der befragten Vertreterinnen und Vertreter von Unternehmen waren der Ansicht, das Projekt hätte die Standortqualität erhöht, auch wenn nur 26% direkte Vorteile für sich durch T-City erkannten.

Ähnliche umfangreiche Untersuchungen zu anderen Smart City Projekten sind nicht bekannt. Der Wettbewerb „Digitale Stadt“ des Bitkom e.V. beispielsweise, der von Darmstadt gewonnen wurde, scheint – wie fast alle kommunalen Projekte – auf eine unabhängige Evaluation zu verzichten. Das ist sehr bedauerlich, kostet eine unabhängige Begleitforschung doch im Vergleich zum Gesamtprojekt eher „Peanuts“. Der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. (Bitkom), der „mehr als 2.600 Unternehmen der digitalen Wirtschaft“ vertritt, unter ihnen „nahezu alle Global Player“, spart sich dieses Geld.

 

Digitaler Fingerabdruck

©iStock.com/polygraphus

Schlussfolgerungen zum Umgang mit dem Unbehagen –
Ein Appell an kommunale Verantwortliche

Es bedarf einer Diskussion über Werte und Ziele der Stadtgesellschaft, um eine so umfassende Veränderung, wie es die Digitalisierung ist und sein wird, erfolgreich gestalten zu können. Es wäre jedoch naiv davon auszugehen, dass allein ein miteinander reden dazu führt, dass alle die gleichen Werte und Ziele verfolgen. Das ist bei anderen Themen schließlich auch nicht so. Entscheidend ist jedoch, dass in zentralen Themen dieser Diskurs stattfindet und alle Beteiligten Ressourcen dafür bereitstellen um dann zu verstehen, in welchen Punkten man sich einig und in welchen uneinig ist – und vielleicht so gar warum.

Weil Smart City kein Technikprojekt ist, investieren Sie bitte mehr Zeit und Geld in Kommunikation als in Entwicklung. Damit meine ich nicht Werbung für die Haltung der Stadtspitze, sondern echte Kommunikation, die aus Botschaften über sich und aus zuhören besteht. Insistieren Sie dabei gerne darauf, dass auch Ihnen zugehört wird. Alle müssen das miteinander reden noch lernen.

Es gibt kein Rezept für eine gelingende Digitalisierung oder eine erfolgreiche Smart City. Jede Stadtgesellschaft muss selbst entscheiden, wie sie leben will. Ein Sensor, der den Müll misst, kann vielleicht standardisiert werden, schon der Algorithmus, der daraus ein „optimale“ Route berechnet, muss wissen, ob es der Stadt besonders am Herzen liegen, touristisch frequentierte Orte müllfrei zu halten oder ob alle Orte – auch weniger angesagte Wohnquartiere – gleich wichtig sind. Darum muss man streiten.

Sie können nicht alles selbst machen. Kooperieren Sie mit anderen Kommunen und ja, kooperieren Sie auch mit Unternehmen. Andere Kommunen haben vielleicht schon Erfolge erzielt oder haben bereits Fehler gemacht, von denen Sie lernen können. Und Unternehmen haben in der Regel viel Know-How, sowohl was die Entwicklung von technischen also auch von organisatorischen Lösungen angeht. Sie haben andere Interessen als Kommunen, aber wenn man das berücksichtigt, lässt sich sicher miteinander auskommen. Die Voraussetzung für gute Kooperation ist allerdings auch hier, dass die Stadtgesellschaft und ihre Vertreterinnen und Vertreter wissen, was sie wollen.

Wenn Sie mit Unternehmen und Beratern kooperieren, fragen Sie bitte solange, bis Sie alles verstanden haben. Lassen Sie sich erklären, was für Sicherheit und Datenschutz getan wird und für andere Ziele und Werte, die für Ihre Stadt wichtig sind.

Und ja, machen Sie auch mal einfach was. Das macht auch Spaß. Und dabei kann man auch viel lernen. Aber machen Sie das nicht auf Feldern, in denen die Scherben, die Sie im Zweifel auffegen müssen, so teuer sind, dass sie woanders dann nichts mehr tun können.

Und schließlich: Evaluieren Sie bitte Ihre Projekte. Klären Sie, ob Sie Ihre hoffentlich erarbeiteten Ziele erreichen. Welche neuen Fragen und Herausforderungen ergeben sich? Welche unbeabsichtigten Nebenfolgen haben Ihre Projekte? Positive wie negative? Stimmen Ihre Ziele nach zwei oder fünf Jahren noch?

 

Literatur

Hackenberg, Katharina; Lobeck, Michael; Wiegandt, Claus-C.; Höhn, Alfred; Hasse, Felix; Jahn, Michael; Bießenecker, Stefan; Kurrle, Dagmar; Maas, Helge; Güsken, Sarah und Mareike Zechel (2015): Deutschlands Städte werden digital. Düsseldorf. Online verfügbar.

Hatzelhoffer, Lena , Humboldt, Kathrin, Lobeck, Michael und Claus-C. Wiegandt (2012): Smart City konkret. Eine Zukunftswerkstatt in Deutschland zwischen Idee und Praxis. (Jovis Verlag), Berlin. In guten Buchläden erhältlich.

Lobeck, Michael (2017a): Smart Cities. In: Heinrichs, Harald, Ev Kirst und Jule Plawitzki (Hg.): Gutes Leben vor Ort. S. 193-204. (Erich Schmidt Verlag), Berlin.

Lobeck, Michael (2017b): Digitalisierung – über des Kaisers neue Kleider und wie dem nackten Mann vielleicht geholfen werden kann. Forum Wohnen und Stadtentwicklung, Heft 6, S. 287-290. Online verfügbar.

 

Weitere Artikel zur Smart Cities finden Sie hier.
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Portraitfoto Michael LobeckDer Autor: Michael Lobeck
Ich moderiere Veranstaltungen und berate öffentliche und private Akteure zu guter Kommunikation in der Stadtentwicklung. Ich halte auch Vorträge zu Sinn und Unsinn von Smart Cities und schreibe Bücher zu dem Thema. Wenn Sie mehr darüber erfahren wollen, was ich für Sie tun kann, melden Sie sich gerne bei mir.

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